Auf den Spuren von Schmugglern und Racern

Wenn die Sommerhitze nachlässt, sich das Laub an den Bäumen verfärbt und die Touristenströme abgeebbt sind, ist die perfekte Zeit für einen Roadtrip entlang der amerikanischen Ostküste. Unsere Route führt uns auf dem Moonshine & Motorsports Trail durch den berühmten Indian Summer mit den spektakulär gefärbten Laubwäldern nach North Carolina, einem der vielfältigsten Bundesstaaten der USA. Auf den 800 Kilometern Breite zwischen dem Atlantischen Ozean und dem Gebirge der Appalachen kann man drei Klimazonen erleben, an der warmen Küste Alligatoren beobachten und mit etwas Glück in den Appalachen wilde Schwarzbären und Weißwedelhirsche entdecken. Unsere Reise beginnt in Charlotte – der Flughafen ist mit 43 Millionen Passagieren jährlich das sechstgrößte Drehkreuz der Welt. Nur eine Viertelstunde vom Airport entfernt liegt die NASCAR Hall of Fame, ein luftiger Glastempel, der die Faszination aus 75 Jahren des amerikanischen Motorsport-Verbandes NASCAR (National Association for Stock Car Auto Racing) mit seinen drei landesweiten Rennserien und einigen regionalen und internationalen Meisterschaften feiert. Neben vielen Exponaten wurde eine Steilkurve mit Rennwagen aufgebaut. Am Fahrsimulator und bei einer Pit-Stop-Challenge kann man selbst aktiv werden.

Nach dem Motto "Don’t drink and drive" scheinen Motorsport und Whiskey-Produktion auf den ersten Blick nicht zueinander zu passen. Doch der schnelle Sport auf vier Rädern ist in den USA eng mit der Produktion von hochprozentigen Getränken verwoben. Als 1918 durch den 18. Zusatzartikel der Verfassung Herstellung, Transport und Verkauf von Alkohol verboten wurden, versuchte eine ganze Reihe von Abenteurern, die ungeliebten Regeln der Prohibition zu umgehen. In abgelegenen Gebieten North Carolinas nutzten die Schnapsbrenner die Dampflokomotivtechnik der Eisenbahn, um Whiskey zu produzieren. Versteckt und im Untergrund.

Rennen gegen die Polizei

Das Geschäft der sogenannten Moonshiner florierte. Pfiffige Schmuggler, die Bootlegger, transportierten die illegale Ware teils in ihren Stiefeln. Sie frisierten Autos, um den Streifenwagen der Polizei filmreif zu entkommen und entwickelten gewagte Fahrmanöver, wie den Bootleg Turn, eine 180°-Wendung mit Vollgas, der verhinderte, dass die Fahrer bei Straßensperren geschnappt wurden. Man muss nicht erwähnen, dass Moonshiner und Bootlegger in North Carolina gefeierte Helden waren. In den 1930er-Jahren begannen die Bootlegger, an Wochenenden Autorennen abzuhalten. Was mit gelegentlichen Einsätzen begann, ist heute die millionenschwere NASCAR-Serie. Entsprechend zählen Motorsport und Moonshine-Destillerien zur kulturellen Identität North Carolinas.

Die Faszination der NASCAR-Serie lässt sich am besten auf dem Charlotte Motor Speedway fühlen: Das 1960 eröffnete Oval bietet Platz für mehr als 165.000 Fans auf den Tribünen und weitere 50.000 Zuschauer im Infield. An fast jedem Wochenende brummen hier die Motoren, denn der gigantische Motorsport-Komplex beherbergt auch eine vierspurige Dragstrip-Gerade, ein Oval für Dirt Racing sowie eine Kartbahn. Seit den 1980er-Jahren können finanzkräftige Fans sogar in einer von 52 Eigentumswohnungen in der Tribüne wohnen. Charlotte gilt als Heimat der NASCAR, neun von zehn Teams haben ihren Sitz im Umkreis von 50 Meilen. Große Mannschaften wie Hendrick Motorsports, RFK Racing und Stewart-Haas Racing empfangen sogar Besucher in eigenen Museen oder bieten in ihren Shops besonderen Merch an. Wer eher auf flüssige Andenken steht: Bei einer Behind Bars Tour („Hinter-Gittern-Tour“) in den Southern Grace Distilleries in einem ehemaligen Gefängnis in Mount Pleasant kann man mehr über den Entstehungsprozess von Whiskey inklusive Fermentierung und Destillation erfahren und die Produkte des Hauses probieren.

Unsere Reise führt weiter zum Rockingham Speedway. Von Fans nur The Rock genannt. Die historisch Sattelfesten unter ihnen wissen, dass die 1931 geborene und 2019 verstorbene Legende Junior Johnson hier nach 50 NASCAR-Siegen 1966 sein letztes Rennen fuhr. Johnsons Geschichte gleicht dem Drehbuch für einen Bootlegger-Film. Schon vor der Geburt war seine Familie im Whiskey-Business involviert: Vater Robert John war Bootlegger und verbrachte 20 seiner 66 Lebensjahre im Gefängnis. Auch Junior Johnson transportierte in seiner Jugend illegalen Alkohol, saß wegen Betriebs einer Brennerei ein Jahr im Gefängnis und startete 1955 schließlich seine Motorsport-Karriere. The Rock – eröffnet im Jahr 1965 – wird seit 20 Jahren nur noch zu Testzwecken genutzt. Viele Fans kennen das Oval mit seinen überhöhten Kurven dennoch: Die Strecke war Kulisse für Motorsport-Filme wie The Dale Earnhardt Story. Wer sich nicht nur für Motorsport interessiert, kann zwei Abstecher unternehmen: Das Museum of the Albemarle in Elizabeth City, dem östlichsten Punkt unserer Reise, informiert über die Geschichte der Region, zu der übrigens auch die Outer Banks mit ihren weitläufigen Sandstränden gehören, jene Inselkette, die durch die gleichnamige Netflix-Serie berühmt wurde. Im North Carolina Museum of History in Raleigh mit seinen rund 150.000 Exponaten aus sechs Jahrhunderten ist auch die Zeit der Moonshiner und Bootlegger ein Thema. Zu sehen sind unter anderem zwei Original NASCAR-Boliden von Dale Earnhardt und Rekordsieger Richard Petty.

NASCAR-Strecke als Lost Place

Wir reisen weiter nach Hillsborough zum Historic Occoneechee Speedway, einer der ersten zwei NASCAR-Strecken aus dem Jahr 1947. Seit Jahrzehnten ist der letzte Dirt-Track, ein mit Schotter statt Asphalt belegtes Oval, aus den frühen NASCAR-Jahren ein Lost Place. Das Gelände ist von Bäumen überwachsen. Verwitterte Verkaufsschilder für Getränke, verfallene Toilettenhäuschen, rostige alte Autos und Reste von Tribünen erinnern an die Rennsport-Vergangenheit. Eine Gruppe von ehrenamtlichen Helfern kümmert sich um die Wanderwege auf dem Gelände und rettet die historischen Gebäude vor dem kompletten Verfall. Wandern und Klettern ist auch beim nächsten Stopp angesagt: Der Stone Mountain National Park mit seinem 600 Meter hohen Granitfelsen bietet schöne Wanderwege und unberührte Natur. Verwitterte Produktionsstätten sind stumme Zeugen der Zeit,als dieser abgeschiedene Wald vor 100 Jahren ein Umschlagplatz für Moonshine-Whiskey war.

Nach einer halben Autostunde erreichen wir Wilkesboro. Der 1948 eröffnete North Wilkesboro Speedway ist eine der großen Rennstrecken der Vergangenheit. Seitdem sie 1996 aus dem Kalender fiel, rottete die Anlage lange vor sich hin. Nach 27 Jahren dröhnten auf dem Oval erneut die Motoren: Im Mai 2023 gab es zum 75. Jubiläum der NASCAR-Serie noch einmal volle Tribünen bei einem Allstar-Race. Wer heute Rennaction erleben möchte, fährt zum Wilkesboro Dragway: Die älteste Dragrennstrecke in North Carolina hat einen vollen Rennkalender. Call Family Distillers ist eine der traditionellen Destillerien im Ort. Zu sehen ist hier der Ford Rat Rod, mit dem Moonshiner-Legende Willie Clay Call 1939 einen Geschwindigkeitsrekord aufstellte, der ihm den Namen The Uncatchable einbrachte. Heute tragen die Whiskeys der Marke diesen Namen. Bei einem Glas des flüssigen Goldes von Brian Call endet unser Moonshine & Motorsports-Roadtrip.

Kurvenlabyrinth im Nirgendwo

Vor der Heimreise führt ein Tagestrip an die Grenze zu Tennessee: Der Tail of the Dragon, ein Teilstück der Bundesstraße 129, ist so etwas wie der Nürburgring der amerikanischen Ostküste. Auf 18 Kilometern reihen sich 318 Kurven aneinander, so viele Kehren und Kurven wie ein Drachenschwanz. Doch anders als auf dem Nürburgring gibt es hier keinen offiziellen Rennbetrieb. Wer den „Drachen“ bezwingen will, muss dies im Verkehr tun – zwischen Paketdiensten, Sonntagsausflüglern und überforderten Motorradfahrern. Offizielle Bestzeiten gibt es nicht, im Internet kursieren zwar einige Werte, aber man sollte sich hüten, sich daran zu messen, denn wachsame Sheriffs mit Radarpistolen warten an jeder Ecke auf ihren Catch of the day.

Das Kurvengeschlängel, das auf einem früheren Ureinwohnerpfad verläuft, wurde in den 1930er-Jahren asphaltiert. Erst in den 1990er-Jahren stolperten ein paar Adrenalin-Junkies über den Drachenschwanz und lösten einen Hype aus. Längst hat auch die US-Autoindustrie die Strecke für sich entdeckt und nutzt für sie für Testfahrten, um auf den verschiedenartigen Kurven, Oberflächen und Bergauf- und Bergabpassagen einiges über das Fahrverhalten kommender Modelle herauszufinden.

Wie die legendäre Pistenklause am Nürburgring ist das Motorcycle Resort im 600 Meter hoch gelegenen Deals Cap ein angesagter Treff für PS-Fanatiker. Hier trifft man sich zum Austausch, zur Stärkung nach der Fahrt, zum Tanken oder auch einfach, um die Fahrzeuge anderer Touristen zu bestaunen. Streckenabschnitte wie Crud Corner, the Chicanes, Parson Curve oder Shaw Grave Cap werden mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Faszination genannt. Denn Kurvenradien, Höhenunterschiede und schwierige Lichtverhältnisse sorgen dafür, dass auch bei langsamem Tempo Unfälle passieren. Davon kann man sich am Tree of Shame überzeugen. Ein großer Baum, an dem Reisende ihre verunfallten Bikes und Teile inszeniert haben. Vom Baum hängen zerbrochene Seitenteile, gesplitterte Spiegel und lädierte Bikes.

Dabei hat der Tail of the Dragon mehr zu bieten als kurvigen Asphalt: Die Straße verläuft südlich des Great Smoky Mountains National Park in den Appalachen. Die Ausblicke sind traumhaft, die Waldlandschaft beeindruckt mit Seen und Wasserfällen. North Carolina ist eine Reise wert – nicht nur für Motorsport-Fans

Fakten zur Strecke

Route

Zum 75. Jubiläum der NASCAR-Serie erinnert der Moonshine & Motorsports Trail in North Carolina mit acht Stationen – angeordnet im Oval wie ein NASCAR-Track – an diese abenteuerliche Zeit. Unser Roadtrip ist eine Kombination aus dieser Rundreise über 732 Kilometer sowie einem 500 Kilometer langen Abstecher zum Tail of the Dragon, einem legendären 18 Kilometer langen Teilstück der US-129 im Süden von North Carolina.

Reisedauer

Fünf Tage bis eine Woche.

Reisezeit

Ganzjährig. Im Sommer und an den Wochenenden ist allerdings mit sehr viel Verkehr zu rechnen.

Verkehrsmittel

Auto, Camper oder Motorrad